In den 1980er-Jahren war es in der Schweiz in Journalisten- Kreisen Mode, im Burgund eine «ferme de Bresse», einen vormaligen Bauernhof zu kaufen. Das kostete wenig Geld, der junge Besitzer kam sich vor wie Landadel und feierte den neuen Status am Wochenende gerne mit Freunden aus der Schweiz.

Wir drängten uns jeweils zu sechst in ein Auto und setzten uns via das Vallée de Joux nach Frankreich ab. Auf zu einem der Bauerhofbesitzer. Das Highlight waren aber weder billiger Fusel, Übernachtungen im Stroh noch geistreiche Gespräche, sondern das Mittagessen vorher in einem x-beliebigen Restaurant jenseits der Grenze. Das zog sich gute drei Stunden hin und war ausnahmslos köstlich: Terrine mit Salat, Steak und Pommes-Frites, dann der Dessertwagen und zum krönenden Abschluss eine tüchtige Auslese aus dem Käsewagen, dazu knuspriges Baguette und Rotwein. Denkwürdig.

Heute lebe ich in Grenznähe zu Frankreich. Statt heimeliger französischer Familienbetriebe mit hohem Anspruch an die eigene Küche gibt’s Döner und Shish Kebab take-out. Ende der französischen Küchenkultur. Aber eben: Globalisierung. Okay. Akzeptiert.

Ausserirdisch sind allerdings die Ausflüge ins grenznahe Frankreich von Herbst bis Frühling. Alles zu oder…
Ich erlaube mir, einen kürzlichen Ausflug zu beschreiben, der in Colmar begann. C. und ich haben in Colmar vor 20 Jahren das letzte Mal etwas Geniessbares gegessen. Seither Industriefutter zu übersetzten Preisen, das uns in der Kehle stecken bleibt, wie einer Taube die kalte Pizza. Der Tourist ist ja bekanntlich ignorant und zückt sein Portemonnaie gerne. Das ist aber nur meine Erfahrung. Ich habe auch Freunde, die Colmar gerne um Weihnachten besuchen und behaupten, dort wunderbar zu essen.

Anyway, Colmar war zum Mittagessen out und wir fuhren um 12 Uhr weiter. In einem ungenannt bleiben sollenden, wunderschönen Städtchen (schlägt Colmar in meinen Augen an Charme und historischer Bedeutung) reihte sich ein einladendes Restaurant an das andere. Aber Parkplätze gab es keine. Gar keine. Der Hauptparkplatz war eine Baustelle. Kein Hinweis auf eine Alternative. 12Uhr 30. Bedauerlich und ärgerlich. Wir fuhren weiter. Boulangerie geschlossen. Keine Aussicht auf ein Stückchen Brot. Restaurants ohnehin geschlossen. Aber überall die Aufforderung den Vin d’Alsace zu degustieren. Ohne Brot, ohne Essen…

Dann ein Dorf mit Hotel cum Restaurant. 13 Uhr 30. Kein Parkplatz. Wir stellen das Auto vor der Mairie ab und wandern den abschüssigen Kilometer ohne Trottoir (Fussgänger? Was ist das?) zum Hotel/Restaurant. Wir sehen einen gediegenen Esssaal mit etwas Aussicht. Schön. Die Frau, die serviert, sagt, sie habe keine Zeit, die Tische abzuräumen und weist uns einen kleinen Holztisch direkt an der Bar und unter dem Kleiderständer im Halbdunkeln zu. Wir verhungern fast, aber sagen, nein, so nicht. Und sie – offenbar so sieges- und einnahmesicher meint: «Alors tant pis.» Und tschüss. Wir kämpfen uns halb verhungert zum Auto hoch. Ziemlich geladen. Nicht von rundum positiven Gefühlen beseelt.

Dann wieder ein Dorf, resp. eine Beiz am Ausgang des Dorfes direkt an der Autobahn. 13:58. Vorspeise: Käsekuchen, preist die Schiefertafel an. Hauptgang: Kaninchen in Senfsauce und ein Dessert, dessen UPS mir jetzt gerade entgeht. Zwei Frauen in der komplett leeren Beiz. Die Chefin weist die Gehilfin an, in der Kühe nachzusehen, ob es noch etwas zu essen gebe. Nein, der Chef hat um 13:45 aufgeräumt. Ende der Vorstellung. Vielleicht ein Sandwich, flehen die Verhungernden. Nein : «désolée». Und Rauswurf.

Noch vierzig Minuten bis nachhause. In Frankreich stirbt sichs unterdessen an Verhungerung wegen keiner oder lausiger Lokale. Ah…. La grande nation.