Die weisse Maus flitzte vom verkohlten Holzboden auf den angesengten Rasen und verschwand. Drinnen ist draussen, sagte sich Müller und wollte nicht überlegen müssen, woher die Maus kommen mochte. Lebend.

Müller war Einsatzleiter der Feuerwehr. Kein Held. Das Haus abgebrannt, zwei Leichen, Rauchvergiftung.

Müller verspürte einen Juckreiz. Die Thermounterwäsche. Er hätte sich am liebsten ausgezogen, um mal ausgiebig zu kratzen. Immer noch stiebten vereinzelte Funken durch die Luft. Der Löschschaum im Gras nahm sich in der Dämmerung aus wie verkleckstes Brombeerjoghurt, darüber der Rauch wie Nebel.

Ob die Maus noch rennt? Müller steht. Steht still in seiner Küche und rührt in seiner Kaffeetasse. Er hat natürlich Kollegen – alle dienstlich im roten Feuerwehr-Overall – und auch einen Chef und auch eine Frau. Die Frau versteht ihn. Kinder haben sie keine. Das ergibt sich halt so. Das Eintreffen oder Ausbleiben von familiären Ereignissen ergibt sich so zufällig oder schicksalhaft wie ein Brand.

Müller schrieb seinen Bericht am Tag nach dem Brand. Flammen, Rauch, Gestank, Leiter ausfahren und mit Hochdruck löschen, das war Routine. Die Leichen, das war keine. Da galt es, das Vorgehen beim Löscheinsatz minutiös zu begründen und zu beschreiben.

Müller liest gerne Kriminalromane. Da wird der Leichengestank, der süssliche, intensive und würgende, inflationär beschrieben. Das Leben ist eine Imitation der Fiktion. Diesen Spruch kennt Müller auch aus seiner Lektüre. Er ist kein Intellektueller. Er liest nur gern und viel. Jeden Tag 200 Seiten. Lesen beruhigt ihn, lenkt seinen Tatendrang in virtuelle Bahnen, wo er die volle Dimension des menschlichen Seins ausloten und die Welt bis in den letzten Winkel bereisen kann.

Müller sprach bei seinem Vorgesetzten vor. Mehrere Tage nach dem Brand. Sein schriftlicher Bericht über den Brandhergang war präzis, seine Aussagen stringent. Der Vorgesetzte verdanke den tapferen, wenn auch wenig erfolgreichen Einsatz. Mündlich. Müller gegenüber. Was in seinem Rapport an die Behörde stehen würde, darüber liess sich nur spekulieren.

Müller ist einsam. Seine Frau versteht ihn, hat aber einen Liebhaber. Darum kann sich Müller jetzt nicht kümmern. Er ist in Bezug auf Zeit und Zusammenhänge verwirrt. Alles Fiktive, was er liest, vermengt sich in seiner Vorstellung mit dem Brand, dem präzisen Bericht, den er darüber verfasst hat und der Unterredung mit dem Vorgesetzten. Er ist müde.

Andere Leute durften ein Care-Team beanspruchen. Müller war Einzeltäter und Einzelopfer. Allein gelassen. Der Vorgesetzte sagte Worte. Für Müller klangen sie überraschend nett. Beamtenhafte Worthülsen halt, die nicht auf eine Rüge oder gar Disziplinarverfahren hindeuteten.

Müller sitzt in der Küche und trinkt Kaffee. Allein. Seine Frau, die ihn so gut versteht und einen Liebhaber hat, ist weg. Wo, weiss er nicht. Eine weisse Maus flitzt vom grauen Linoleumboden auf den Tisch und von da durchs Parterrefenster auf den blühenden Rasen. Da ist noch Leben drin, meint Müller und rührt in der Kaffeetasse.