…Ein Nervensägetermin ist abgehakt, bin einer Spontaneinladung nach X. gefolgt – mit selbstgebackenem Zwetschgenkuchen (noch warm). Der Professor empfängt in kurzen Hosen. Heute gibt es Bier, der Aperitif wird auf seinen Hollywoodwiesenstühlen serviert. Zum Aperitif gibt es Nüsschen, Salzgebäck und eine Calgary-Karte vom kleinen Major und ein Lob an Dich: «Der kleine Major hat eine sooo schöne Schrift!» Auch der Text ist ganz nach dem Geschmack des Gastgebers, aufgeräumt nimmt er mir die Karte wieder weg. Jetzt muss er den Grill einheizen: « Es git nur öppis Chliiises.» Ich sehe einen Cervelat und undefinierbare fleischliche Stücke und höre: «Alles vom Coop.» Der Professor sitzt, steht auf, rast in den Keller, holt Bier und sagt zu meiner Beruhigung: « Das Bier muss kühl sein.», sitzt wieder, steht wieder auf: «Ich hole noch zwei Flaschen.» Original-Feldschlösschen. Während er hin und her rennt, dampft sein gigantischer Grill. Hoppla, das ist ihm noch nie passiert: Das Ding ist überhitzt. Kein Problem, die Fleischstücklein und der Cervelat (in Pfadfindermanier geritzt) kommen erst mal auf die Ablage. Der Professor verschwindet wieder in der Küche, bringt Teller, darauf sind: Etwas Reis (1), etwas Kartoffelsalat (2, hat eine graue Farbe), etwas Schnitt-Salat. 1 wird aufgeputzt, 2 und 3, von mir nicht angerührt, kommen später auf einen Teller und verschwinden wieder im Kühlschrank – morgen ist grosser Familienbesuch!
Im Hintergrund quasselt und trällert es aus dem TV. Italienische Dauerberieselung. Zwischen der mehrfachen Ankündigung, das Ding abzustellen, und der Tat vergehen drei Stunden.
So – es ist angerichtet. Ich erhalte zwei undefinierbare Fleischstücke, er eines plus Cervelat. Ich fordere resolut auch vom Cervelat. Der Professor sagt: « Gut, gib mir dafür die Hälfte vom…». Ich höre nicht, was es ist, es bleibt undefinierbar. Ist es Huhn? Ist es Kaninchen? Keine Ahnung. Ich halte mich an den Reis, er sagt: «Ich habe ha gesagt, es gibt nichts Grosses, alles Reste.» Prost! Jetzt ist das Bier nicht mehr nur lauwarm, sondern nahe dem Siedepunkt. Der Professor rast wieder raus zum Kühlschrank, vergisst mich kurz, weil jetzt der Abwasch besorgt werden muss. Ordnung muss sein. Will ich jetzt einen Schnaps? Nein, ich will jetzt endlich ein kühles Bier. Er lässt mich an den Kühlschrank, darin sind viele Original-Feldschlösschen-Flaschen von seinem In-den-Keller-und-in-die-Küche-rasen von vorher, aber da ist auch noch ein kleines Fläschchen Cardinal. Ganz kalt. Das darf ich nehmen. Er kommt gleich. «Wir müssen diese schönen Sommerabende geniessen», sagt er und kostet von seinem Bier. Es ist ihm zu warm, schüttet es aus, holt wieder eine Flasche. Nein, ich will keinen Schnaps. Also gut. Nein, ich will auch nicht von meinem Zwetschgenkuchen – er soll ihn seiner morgigen Gästeschar servieren. «Gut», sagt er, «ich habe Dich jetzt dreimal gefragt – soll ich ihn in den Kühlschrank stellen?» Jaaa!
Plötzlich ein Geräusch. Was ist e? Keine Ahnung. Aha, der Nachbar – Heimwerker. Ein frecher Siech, baut ohne Bewilligung an seine Hütte – eigentlich eine Villa, mit zwei Holztieren vor der Eingangstür – rum, so dass er von sich aus ins Schlafzimmer des Professors sieht! Klar, dass er sich auch nicht an die vorgeschriebenen Lärmruhezeiten hält. Wir warten gespannt, ob sich noch etwas Lärmartiges tut. Der Professor ist angespannt, auf dem Sprung – aber der Nachbar tut ihm den Gefallen nicht. Dafür stellt der Professor jetzt seinen TV-Apparat still. Macht nichts, das Programm – klingt nach volkstümlichem Schlagerabend – ist ohnehin fertig.
Das gemütliche Beisammensein nimmt seine Fortsetzung. Zwischen Stunde drei und vier kämpfe ich gegen Gähnkrämpfe und Augenverschluss. Der Professor sagt: «Ich darf auch mal ausschweifend sin, erinnere mich daran, dass ich Dir noch mein besonderes Verhältnis zur Diplomatie erzähle...» Wäre für sich allein abendfüllend. Oh Gott! Heute will er sich aber mit einer Episode begnügen. Es ist die Geschichte von ihm als Vorsitzender einer OECD-Lärmschutzkommission. Man wartet auf alle Teilnehmer, am meisten auf den französischen. Endlich kommt er und fragt: «Bin ich hier bei der Luftverschmutzungskommission?» Nein! Hier der Lärmschutz. Der Franzose geht ab. Kurz darauf kommen drei Japaner. Der Vorsitzende drückt seine Freude aus und gibt dem japanischen Delegationschef gleich das Wort. Der steht auf und ist gleich gross wie wenn er sitzen würde. Nach seinem Votum sitzt er wieder und ist gleich gross wie wenn er stehen würde. Der Vorsitzende verdankt das hoch wertvolle Votum und erklärt der Kommission: «Dieser profunde Beitrag muss einem breiteren Publikum eröffnet werden. Wir werden es auf Englisch übersetzen lassen.» Der japanische Delegationsleiter meldet sich zu Wort, steht auf und ist gleich gross wie wenn er sitzen würde und sagt erzürnt: « Ich habe Englisch gesprochen.» Das Auditorium blickt verschämt auf die Tischplatte, einzelne gehen hinaus, im Gang wird alsbald gejohlt. Drinnen entschuldigt sich der Vorsitzendende und sucht verzweifelt nach Worten, die ihn retten könnten.
Fertig. Der Professor fragt mich: « An was sollst Du mich erinnern? Diplomatie? Nein», sagt er unwirsch « an die Geschichte mit Furgler.» Ich bin gerettet. Noch ehe er beginnt, lasse ich Furgler-Geschichten aufleben, mehrfach von Versuchen des Professors gestört, mich zu unterbrechen, damit er seine Furgler-Geschichte loswerden kann. Nix da! Jetzt bin ich wieder wach. Ob ich jetzt einen Schnaps will? Nein, ein kühles Bier! Der Professor holt ein weiteres Knirpschen Cardinal. Während ich weiter furglere, gähnt der Professor und ihm droht Augenverschluss. Aber er ist noch wach genug, um bei der ersten sich bietenden Gelegenheit dazwischen zu fahren und jetzt kommt sein Furgler, sein Schellenberg, sein Gnägi, sein…
Müde bin ich, geh zur Ruh – das nächste Mal bei mir, Ende nächster Woche…
Ja, es war wieder ein toller Abend.

PS.
Der Mailabsender und der Professor sind sich trotz dem ersten heissesten Sommer des 21. Jhd. immer freundschaftlich verbunden geblieben.