Was ich in den letzten paar Wochen in Olten, St. Gallen, Basel, Biel und Bern erlebt habe: Immer ist es ein Mann um die 30, offensichtlich drogen- oder alkoholgeschädigt, im Augenblick aber scheinbar clean, steht ungefragt vor mir und lächelt.

  1. Schüchtern, fast demütig sagt er: «Excusez, darf ich Sie etwas fragen?»
    (Reaktion: Na ja, meinetwegen.)
  2. «Haben Sie mir X Franken?
    (Reaktion: ?)
  3. «Ich bin krank und sterbe bald. Heute habe ich Geburtstag. Da um die Ecke kann ich für 7 Franken 50 essen. Das muss doch möglich sein an meinem Geburtstag.»
    -- «Ich muss mit dem Zug nach Thun. Das kostet 15 Franken 20. Ich kann ja nicht zu Fuss gehen. Und hier kann ich nicht übernachten.» (Reaktion: Mitgefühl regt sich. Der bedauernswerte Kerl.)
  4. «Wissen Sie, ich habe Geld, aber…
    (Reaktion: Aha, eine Geschichte).
  5. …ich kann erst morgen zu meinem Betreuer. Von dem bekomme ich dann etwas…
    --… mir ist das Portemonnaie gestohlen worden. Ich konnte mich nicht wehren, weil ich einen lahmen Arm habe. Ich habe ihn angezeigt, aber die Polizei sagt, es sei nicht ihr Problem wie ich ohne Geld auskomme…» (Reaktion: Ob die Geschichte stimmt, ist mir eigentlich egal. Ich krame im Portemonnaie und spende grosszügig. Das gibt mir ein gutes Gefühl.)
  6. Er sagt: « Das ist aber sooo lieb von Ihnen», strahlt, und macht eine Bewegung, als wolle er mich umarmen.
    (Reaktion: Lieber nicht.)
  7. «Ich bin der Röschu / der Schörschu / der…. Sind Sie morgen wieder da? Dann gebe ich Ihnen das Geld zurück. Nein? Dann geben Sie mir Ihre Adresse. Ich werde Ihnen das Geld schicken. Und hier ist meine Adresse.»
    (Reaktion: Hilfe. Er könnte zur «Klette» werden und auf meinem Gewissen rumturnen. «Ist nicht nötig. Behalten Sie das Geld.»)
  8. Der Mann schenkt mir ein Lächeln und sagt fast väterlich: «Kann ich Ihnen irgendwie helfen?»
    (Reaktion: Bin ich im falschen Film? Fluchtreflex. Ich sage: « Nicht nötig. Alles Gute. Adieu.»

Fazit:
Die Methode, eine Rede überzeugend zu gestalten, kann man dem IV- oder Sozialhilfe- Bezüger natürlich auf Social Media zugänglich machen. Aber wie jeder erfahrene Kommunikationsberater weiss: Nur das persönliche Training mit Feedback und unermüdlichem Feilen in Richtung der emotional packenden Strassen-Performance kanns bringen.

Ich habe den Verdacht, dass es sich dabei um eine neue Integrationsmassnahme handelt. Der Kurs «Wie bessere ich mein IV/Sozailhilfe-Geld auf?» steht allen Bezügern offen, die gut zu Fuss sind, ihr Zielpublikum kennen, ihr Anliegen einnehmend und authentisch in Form eines präzis vorbereiteten Statements vortragen und die erwünschte Emotion auslösen können. Lukratives Nischenangebot